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Der Stein

In Zeiten, unbeschreiblich fern,
als es noch keine Menschen gab,
da lebten Wesen in den Bergen
von hohem Wuchs, schlanker Gestalt,
mit blasser Haut und breiten Schwingen.
Sie stiegen Jahr für Jahr herab,
um ihrem Gott zu huldigen.
Die Tiere, feindlich sonst und scheu,
erschienen nach und nach
aus ihren Höhlen und Verstecken,
und strömten alle zu dem Ort,
an dem es keine Schrecken,
kein Unheil gab, keine Gefahr.
Am Ort des Heiligtums der Engel,
die vogelgleich vom Himmel schwebten,
erhob sich steinern ruhig und schön
das Himmelszeichen jener Wesen.
Und alle brachten Opfer dar,
nicht sichtbar oder angreifbar :
Sie stellten, legten sich und flogen
vor und um das Monument,
sie ließen die Gedanken schweifen,
Gefühle wie die Früchte reifen,
und Bilder ihrer Phantasie
erfüllten nun den toten Stein,
wie Nebel drang es in ihn ein
und plötzlich fing er an zu leben ...
Äonen stand er da und mehr,
verlassen und vergessen, er,
der einst das Zentrum aller,
die nun in Fabeln leben, war.

Ich suchte und entdeckte ihn,
stand dort, nicht körperlich,
doch wachsam streckte ich
die Hand aus und berührte ihn.

Der Stein war warm.. ein Lichtstrahl fiel,
nein, stürzte auf mich, neben mich,
ich spürte, sah es innerlich,
die Energie, die da in mich hineinfloß ...
... viel zu viel
für einen Menschen war´s, ich fiel
und fiel und falle immer noch,
durch Finsternis, ein schwarzes Loch,
und Todesangst verbreitet sich,
ich schreie, weine bitterlich,
erbarmungslos verengt sich der Geburtskanal
und stößt mich aus:
So grell, so hell kann nur das Leben sein...
... von der Erkenntnis fortgetragen
verschwindet die Erinnerung
zurück bleibt nur des Kindes Pein.

In einer andern Zeit steht noch der Stein.
Er lebt, er schläft nur und nimmt auf,
alle Gedanken aus dem Lebenslauf
der Wesen dieser Erde, denn er ist ewig.
Er ist nicht Gott, nicht Mensch, nur ewig ...