Sie sind hier: Startseite » WORT » DAS BUCH

Impression

aus dem alten Wien

Taborstraße 15, Ecke Negerlegasse, der Blick auf die ehemalige Getreidebörse. Gleich nebenan auf Nr. 17 im Hirschenhaus wohnte die berühmte Musiker Familie Strauss.
Kasten, Vitrine und Schreibtisch - Jugendstil. Ein besinnlicher Abend. Unter dem neuen Anstrich der hohen Decke verbergen sich die Reste der Malereien, die ich während der Renovierungsarbeiten freigelegt hatte. Schade drum, aber es war gerade genug davon übriggeblieben, um den Eindruck zu vermitteln, dass diese Wohnung einst einem gutsituierten Wiener Bürger gehört haben muss.
Direkt spürbar ist die Geschichte, diese Nostalgie (mit einem langgezogenen iiiee) - dekadent, leicht nasal die Aussprache der Damen und Herren in Wien um die Jahrhundertwende, eine unglaubliche Ignoranz und Fadesse muss geherrscht haben, Todessehnsucht, weil den meisten so fad war, etc.
Viel hat sich nicht geändert, in der Einstellung der meisten Wiener findet man noch alle Bestandteile, alle Ingridenzien, die zu einem Volk gehört, das seit Jahrhunderten dem Untergang entgegenstrebt - der Wiener lebt nur in zwei Zuständen, nämlich zwischen "Da kamma nix machen .." und "Es muass wos g´schehn" .
Die Vergegenwärtigung dieser eigenartigen Tatsache und die Stimmung, die da draußen auf der Taborstraße herrscht, tragen mir eine kleine Geschichte zu - der heutige Abend könnte sich damals so abgespielt haben :
-
Franz Ferdinand W., Leutnant des K&K Infanteriregiments und sein Freund, der Georg Bachzögl sitzen am offenen Fenster in der Wohnung der Familie Bachzögl, Taborstraße 15, weit weg vom Treiben hinter dem Glacis und der Franz philosphiert.
Er kommt immer nur, wenn ihm das Geld ausgegangen ist zum Schorschi, um dort noch einen Schnaps zu trinken und sich mitzuteilen. Bachzögl ist bereits zur Nacht fertig und sitzt auf dem Sprießerl des Kanapeés, ängstlich beobachtend wie seine Flasche mit dem guten Slivoviz langsam immer leerer wird. Franz hat seine Beine auf der Fensterbank hochgelagert und hinterlässt mit den Sporen auf seinen Stiefeln unangenehme Spuren im Holz. Von der Ferne dringt Musik aus dem Prater. Franz Ferdinand nimmt einen weiteren tiefen Zug aus der Flasche und zeigt dann mit der Hand aufs Firmament, das, sternenübersät und mit einem leicht eingedepschten Mond drapiert über der Wienerstadt hängt. Langsam lässt er die Hand sinken und spricht, in der dem Schorsch so bekannten Art, mit heruntergezogenen Mundwinkeln, eine Augenbraue, die rechte, hinaufgezogen, die dunklen Augen hinter halbverschlossenen Lidern verborgen :

"Weisst, Schorschi, ich möcht gern die kleine Prohaska mit dem Dr. Koleritsch verbandeln".
Ein weiterer Schluck aus der Schnapsflasche und Georg sagt: "Jaja, Franzi, is scho gut, du sollst net sovü trinken".
"Na, was könnt besser sein: Zwei Opernfanatiker, beide enttäuscht vom Leben, ungebunden, frei für die Liebe. Ja, das werd ich arrangieren. Was die dann daraus machen, ist eh ihr Kaffee".

Der Ostwind trägt einen Fetzen der Melodie, die das Orchester der Familie Ebergassinger gerade im Prater spielt an Franzens Ohr und er summt versonnen den Refrain : "Ein Mäderl, ein Schluckerl und ein Zigaretterl ... " der Text geht ihm aus, und sein Kinn beginnt, auf die Brust zu sinken.
Abrupt setzt er sich auf, dreht sich zu seinem Schulfreund Georg und ruft
"Geh Schorschi, hol an Champagner !"

Bachzögl hebt die Hände und versucht zu beschwichtigen "Still, Franzi, du weckst mir noch die Kinder auf, die Margret schlaft auch schon. Komm, es is schon spät, du sollst jetzt nach Hause gehn, weisst eh, morgen hast Bereitschaft und seit der Oberst Wenninger nicht mehr Kommandant ist ... "
Franz Ferdinand blickt seinen Freund streng an.
"Schorschi, " raunt er "bist mein Freund, oder nicht"
"Jaja, natürlich", - "bist ein Freund, oder nicht ?" ruft Franz und Georg Bachzögl zischelt beschwichtigend "Jaja, Franzi, is scho guat, I hol ja schon die Flaschn", während er aufsteht, um den Champagner zu besorgen.

Franz dreht sich wieder zum Fenster und verschränkt die Hände hinter dem Kopf.
"Wär doch schön, ganz plötzlich, über ungeahnte Wege : eine Romanze. Ein Sommer in Wien, ein Fiaker, das Riesenrad, ein paar Vierterln, eine Rose - verzeih´n Gnädigste, dass ich frag, aber sind Gnädigste für morgen abend noch frei ? - Ein gehauchtes > warum fragn´s denn ?< und dann, a paar Tag später, der erste Kuss im Mondschein, auf der Jesuitenwies´n".

Bachzögl kommt mit dem Nachschub und versucht so wenig Lärm wie möglich beim Öffnen der Flasche zu machen.

"Übers Jahr kommt dann das erste Kind" schwelgt Franz weiter in seinen Phantasien, "und die Schwiegereltern wer´n ganz hingerissen sein, weil der Hr.Doktor assistiert hat. Eine der letzten wirklichen Liebesg´schichten könnt das werden, so voll von Romantik und Herz, ein bisserl verhalten, beide sind ja sehr vorsichtig, aber wer weiß ... Na, sie wern´s schon machen".

Mit diesen Worten greift Franz nach dem Glas, das ihm Georg reicht, steht vom Stuhl auf und nimmt Haltung an.
"Auf die Romantik !" ruft er und schlägt die Hacken zusammen. Georg zischt wieder. "Scht, Franzi, sei doch a bisserl leiser. Die Margret wird gleich kommen!"
"Für mich bleibt nur der Abschied vom Regiment", sagt Franz Ferdinand sinnend und setzt sich wieder "weil ich mich durch die unglückliche Liebschaft mit der Comtesse Thesi total versoffen hab. Dabei hab ich mein Regiment im Stich g´lassn und jetzt bleibt mir nur noch, was mir die Tant vermachen wird. Aber die stirbt ja net.
Wovon soll ich denn leben, hab ja nur Soldat g´lernt. Immer hob ich mir g´wünscht, am Feld der Ehre zu sterben, im ehrlichen Kampf, Mann gegen Mann, weisst eh, a poar hundert von die Türken hätt ich damals schon mitgenommen unterm Sobjeski, bevor´s mich - aber so ..."

Franz nimmt einen großen Schluck : "Türken, Muselmanen, Abendlandsbedroher, heut´ noch möcht man den Sabel nehmen und .. " er macht ein paar Paraden mit dem Glas und verschüttet dabei den Rest auf dem Perserteppich, ..Kroppzeug, ha !"
"Geh, Franz, du ruinierst ma ja den Teppich" winselt Bachzögl.
"Is eh a türkischer oder persischer, auf jeden Fall ein arabischer, was weiß denn ich .."

Franz setzt sich wieder und entspannt sich ein wenig.
Eine kleine Schäfchenwolke setzt sich auf den Mond und die Geräusche, die aus dem Prater dringen lassen vermuten, dass die Festivität dort nun vorbei ist.

"Na, aber herzig woars schon, die Comtesse, ein Luder, sag ich Dir, die hat´s faustdick ... aber was. Ich glaub, ich werd sie einmal einladen, wenn ich amal beim Kartenspieln wieder g´winn."
"Ja aber Franzi, weißt es denn nicht ?" staunt Georg.
"Wos meinst denn ?" - "Na die is doch jetzt verlobt, mit dem Sohn vom ... , na du weißt schon, wen ich mein .." - "Wos ?" Franz dreht sich ungläubig zu Georg "ja, des hob ich ja goa net g´wusst, also sowas ..."

Eine betretene Stille tritt ein, verstärkt durch das Ausbleiben der Töne aus dem Prater . Wien ist zur Ruhe gekommen.
"Na also weisst, Schorschi, nachdem´st mir das g´sagt hast, weiß ich wirklich nicht mehr ein und aus, nein, das hätt´st mir nicht sagen soll´n".
Sehr betreten klingen seine Worte, ja fast verzweifelt ist der Gesichtsausdruck.
"Aber geh, Franzi, die ganze Stadt redt doch von nix anderem mehr" winkt Georg ab, es ist ihm sichtlich peinlich, dass er das angesprochen hat.
"Na und, wenn´s die ganze Stadt weiß, heißt das noch lange nicht, dass ich´s weiß, ich hab´s nicht g´wusst und das ist ..."
Franz kommt mit seinem Gesicht näher zu Georg, seine Stimme ist plötzlich ganz rauh.
".. schrecklich. Das is fürchterlich, hörst."
Dem Bachzögl schwant Schlimmes.
Franz fährt fort im Verschwörerton :
"Sag, Schorschi, host noch Deine Waffe, weißt eh, die kleine mit den 2 Schuss", in der kurzen Pause mitten im Satz bilden sich Schweißperlen auf Bachzögls Stirn,
"Ja warum willst denn die jetzt haben ?" flüstert Georg bestürzt.
Wegeners Gesicht hellt sich plötzlich auf, er beginnt zu grinsen und dann bricht er in ein haltloses Lachen auf :
" 2 Schuss, damit ma wirklich ka Ausred hat - Hahaha...Hahaha.."

Der Lachkrampf des Leutnant W. weckt schließlich die Frau des Hauses, die Kinder und auch die Haushälterin Mitzi, die den Franz, wie schon so oft, in ihrer resoluten Art zur Türe begleitet. Noch den ganzen Weg nach Hause in die Spiegelgasse lacht der Franz, daheim angekommen, in der Wohnung der Tante, schmeißt er in seinem Rausch die teure Vase um , die der selige Onkel seinerzeit aus China mitgebracht hat.
Dann legt er sich mit den Stiefeln ins Bett und verschläft die Tagwache.

Franz Ferdinand W. stirbt viele Jahre später beim ersten Autounfall den die kleine moravische Stadt Litovel bei Olmütz je gesehen hat, welch ein Zufall : der Fahrer des Automobils ist ein Türke...